IDEAS home Printed from https://ideas.repec.org/p/zbw/ifwkie/873.html
   My bibliography  Save this paper

Die wirtschaftliche Lage Rußlands: Kurswechsel in der Stabilisierungspolitik. Siebenter Bericht, Teil I

Author

Listed:
  • Buch, Claudia M.
  • Heinrich, Ralph P.
  • Langhammer, Rolf J.
  • Lücke, Matthias
  • Brücker, Herbert
  • Engerer, Hella
  • Schrettl, Wolfram
  • Schrooten, Mechthild
  • Weißenburger, Ulrich
  • Gabrisch, Hubert
  • Linne, Thomas
  • Meissner, Thomas
  • Paasi, Marianne
  • Sigmund, Peter
  • Werner, Klaus

Abstract

Auch im Jahr 1995 kam es in Rußland nicht zu einer realwirtschaftlichen Erholung. Das Jahr wird mit einem weiteren Rückgang des Bruttoinlandsprodukts abschließen, wenngleich dieser mit voraussichtlich 4 vH geringer ausfallen wird als im Vorjahr. Eine genauere Betrachtung der Industriebranchen zeigt, daß erste Produktionszuwächse vornehmlich in der Grundstoffindustrie zu verzeichnen sind, so bei Eisen und Stahl, NE-Metallurgie und Chemie bzw. Petrochemie. Dahinter verbergen sich vor allen Dingen gestiegene Exporte. Anlaß zu Bedenken geben der erneut starke Rückgang der Investitionstätigkeit und die massiven Produktionseinbrüche bei langlebigen Konsumgütern. Ungebrochen ist auch der Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion. Die Getreideernte fiel 1995 katastrophal aus. Vielfach werden besondere Hoffnungen an den Rückgang der Inflation geknüpft. Die monatliche Steigerungsrate der Verbraucherpreise sank im Verlauf des Jahres 1995 stetig und lag bis zuletzt unter 5 vH; sie begann vor allen Dingen nicht, wie noch 1994, im Herbst wieder anzusteigen. Allerdings ist auch damit der Bereich sehr hoher Inflation noch nicht verlassen worden. Die Arbeitslosenquote stieg weiter leicht an und dürfte derzeit bei etwa 8 vH liegen (Berechnungsmethode der ILO). Bemerkenswert ist die Entwicklung der Reallöhne. Sie sanken nach den verfügbaren Daten im bisherigen Verlauf des Jahres 1995 um knapp 30 vH. Insofern kam es zu einer beträchtlichen Kostenentlastung für die Unternehmen. Das Haushaltsdefizit lag im Verlauf des Jahres 1995 unter 3 vH des BIP und damit sogar noch beträchtlich unter den Vorgaben des Internationalen Währungsfonds. Das niedrige Defizit wurde allerdings nur dadurch erreicht, daß trotz stark rückläufiger Staatseinnahmen, insbesondere ausbleibender Privatisierungserlöse, die Staatsausgaben drastisch gesenkt wurden. Bedenklich an dieser Art von Haushaltskonsolidierung ist, daß durch die Ausgabenkürzungen die öffentlichen Investitionen getroffen wurden und sich ein hoher Bestand an Zahlungsrückständen der Unternehmen und des Staates aufgebaut hat. Positiv ist zu vermerken, daß der überwiegende Teil des Defizits nicht durch die Zentralbank, sondern über den Kapitalmarkt finanziert wurde. Die exorbitant hohen Realzinsen haben die Investitionstätigkeit wesentlich beeinträchtigt. Die restriktive Geldpolitik hat zwar zur Inflationssenkung beigetragen, zugleich jedoch gab sie den Unternehmen keine Möglichkeit, die zur Bedienung von Krediten nötigen Erträge zu erwirtschaften. Es kann daher nicht verwundern, daß der Anteil notleidender Kredite rapide anstieg und eine Liquiditätskrise im Bankensektor entstand. Die hohen Realzinsen mögen auf der einen Seite zwar ein frühes Scheitern der zur Jahresmitte 1995 begonnenen Wechselkursstabilisierung verhindert haben. Sie erlaubten sogar den schnellen Aufbau hoher Devisenreserven. Auf der anderen Seite gehen mit dieser Politik aber beträchtliche Risiken einher. Im Ausmaß des Devisenzuflusses bei relativ festen Wechselkursen kommt es zu einer Ausdehnung der Geldmenge, die neuerliche Inflationsgefahren hervorruft bzw. die nur zu hohen Kosten neutralisiert werden kann. Die Privatisierung lieferte nicht den angestrebten Beitrag zur Belebung der Wirtschaft. Sie geht schon seit über einem Jahr nur noch langsam voran. Vor allen Dingen wurde bislang ein zentrales Ziel der Privatisierung, die Heranziehung kapitalkräftiger Investoren, verfehlt. Ebenso blieben die Privatisierungserlöse weit hinter den Erwartungen zurück. Wenn trotz der zäh verlaufenden Privatisierung der private Sektor weiter wächst, so ist dies eher auf Neugründungen von Unternehmen zurückzuführen. Der aus dem Bankensektor stammende Vorschlag, der Regierung gegen Aktien (als Pfand) Kredite zu geben, konnte wegen Liquiditätsengpässen im Bankensektor bisher nur ansatzweise verwirklicht werden. 23 In der gegenwärtigen Situation ist es dringend geboten, vorhandene Spielräume für Nominalzinssenkungen der Zentralbank schrittweise zu nutzen. Damit wird eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um die Wirtschaft zu beleben und vor allem Investitionen anzuregen, ohne zugleich die Glaubwürdigkeit des neuen Wechselkurskorridors zu beeinträchtigen. Die Einhaltung dieses Wechselkursziels wird maßgeblich darüber entscheiden, ob die Stabilisierungsansätze Bestand haben, Entscheidungsträger ihre Planungshorizonte verlängern und Investitionsrisiken verringert werden können. Offenbar wollen Regierung und Zentralbank ein Wechselkursziel beibehalten. Dies erfordert, daß Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in den Dienst der Wechselkursstabilisierung gestellt werden und mit ihr kompatibel sind. Es muß betont werden, daß auch dieser Weg keineswegs frei von Risiken ist. Dazu gehört die Gefahr, daß eine zu rasche Nominalzinssenkung von den Akteuren zum Anlaß genommen wird, die Glaubwürdigkeit des Wechselkursziels zu testen. Zudem ist nicht auszuschließen, daß reale Aufwertungstendenzen ungebrochen bleiben, heimische Industriezweige noch stärker unter Wettbewerbsdruck von Importen geraten und die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Exporte einschließlich der bislang noch nicht gefährdeten Rohstoffexporte weiter beeinträchtigt wird. Diese Risiken sind allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt geringer einzuschätzen als die Risiken einer Geldmengensteuerung, die, um glaubwürdig zu sein, extrem hohe Realzinsen in Kauf nimmt. Sollten die aus dem Wechselkurs entstehenden Risiken zunehmen, so wäre ein Übergang zu einer gleitenden Paritätsanpassung (crawling peg) angemessen. Die Finanzpolitik wird durch Nominalzinssenkungen insofern entlastet, als die Bedienung der Staatsschuld erleichtert wird. Die Aufgabe der Finanzpolitik sollte gegenwärtig vor allem darin bestehen, die Einnahmenseite des Staatshaushalts zu stärken, um den Spielraum für investive Staatsausgaben zu erweitern. Dazu ist keineswegs eine Erhöhung der Steuersätze erforderlich; es genügt, für eine Reduzierung des extremen Ausmaßes an Steuerhinterziehung zu sorgen. Damit würden auch gleiche Wettbewerbsbedingungen auf der Unternehmensebene geschaffen. Die für die Belebung der Wirtschaft günstigen Bedingungen — Zinssenkungen und größere Spielräume für investive Staatsausgaben — sollten durch die Lohnpolitik nicht beeinträchtigt werden. Künftige Lohnerhöhungen dürfen nicht zu einer weiteren realen Aufwertung des Rubels beitragen. Die exogenen Bedingungen spielen für Rußlands Chancen, zu einer Trendwende zu gelangen, eine wichtige Rolle. Dies läßt sich aus der Bedeutung der Exportnachfrage nach Rohstoffen und rohstoffnahen Erzeugnissen für den Belebungsprozeß ersehen. Für 1996 bestehen Zweifel, ob diese günstigen Bedingungen auf der Nachfrageseite gegeben bleiben. Zum einen kann eine konjunkturelle Beruhigung in den OECD-Staaten eintreten, zum anderen dürfte die Schubwirkung der russischen Exportliberalisierung nachlassen. Damit könnte der hohe Handelsbilanzüberschuß schnell schrumpfen. Sollten sich die exogenen Bedingungen verschlechtern, so fällt die Aufgabe der Belebung mehr als noch 1995 dem Binnensektor zu. Innerhalb wie außerhalb Rußlands macht sich Optimismus hinsichtlich einer erstmaligen wirtschaftlichen Erholung im Jahr 1996 breit. So rechnen beispielsweise OECD und Internationaler Währungsfonds mit einem leichten Zuwachs des BIP. Diese Chance ist zwar gegeben. Verglichen mit den mitteleuropäischen Transformationsländern sind die Risiken in Rußland aber nach wie vor beträchtlich. Wenn die gebotenen Maßnahmen der Geld-, Fiskal-, Lohn- und Wechselkurspolitik nicht in die Tat umgesetzt werden, ist eine Stagnation oder sogar ein nochmaliger Rückgang des Sozialprodukts im Jahr 1996 nicht auszuschließen.

Suggested Citation

  • Buch, Claudia M. & Heinrich, Ralph P. & Langhammer, Rolf J. & Lücke, Matthias & Brücker, Herbert & Engerer, Hella & Schrettl, Wolfram & Schrooten, Mechthild & Weißenburger, Ulrich & Gabrisch, Hubert &, 1995. "Die wirtschaftliche Lage Rußlands: Kurswechsel in der Stabilisierungspolitik. Siebenter Bericht, Teil I," Open Access Publications from Kiel Institute for the World Economy 873, Kiel Institute for the World Economy (IfW Kiel).
  • Handle: RePEc:zbw:ifwkie:873
    as

    Download full text from publisher

    File URL: https://www.econstor.eu/bitstream/10419/873/1/193949342.PDF
    Download Restriction: no
    ---><---

    Other versions of this item:

    References listed on IDEAS

    as
    1. Dornbusch, Rudiger, 1992. "Lessons from Experiences with High Inflation," The World Bank Economic Review, World Bank, vol. 6(1), pages 13-31, January.
    2. Sergio Rebelo & Carlos A. Végh, 1995. "Real Effects of Exchange-Rate-Based Stabilization: An Analysis of Competing Theories," NBER Chapters, in: NBER Macroeconomics Annual 1995, Volume 10, pages 125-188, National Bureau of Economic Research, Inc.
    3. Buch, Claudia M. & Koop, Michael J. & Schweickert, Rainer & Wolf, Hartmut, 1995. "Währungsreformen im Vergleich: monetäre Strategien in Rußland, Weißrußland, Estland und der Ukraine," Open Access Publications from Kiel Institute for the World Economy 831, Kiel Institute for the World Economy (IfW Kiel).
    4. Mr. Carlos A. Végh Gramont & Ms. Ratna Sahay, 1995. "Inflation and Stabilization in Transition Economies: A Comparison with Market Economies," IMF Working Papers 1995/008, International Monetary Fund.
    Full references (including those not matched with items on IDEAS)

    Most related items

    These are the items that most often cite the same works as this one and are cited by the same works as this one.
    1. Drabek, Zdenek & Brada, Josef C., 1998. "Exchange Rate Regimes and the Stability of Trade Policy in Transition Economies," Journal of Comparative Economics, Elsevier, vol. 26(4), pages 642-668, December.
    2. Kamin, Steven B., 2001. "Real exchange rates and inflation in exchange-rate-based stabilizations: an empirical examination," Journal of Development Economics, Elsevier, vol. 64(1), pages 237-253, February.
    3. Edwards, Sebastian & Vegh, Carlos A., 1997. "Banks and macroeconomic disturbances under predetermined exchange rates," Journal of Monetary Economics, Elsevier, vol. 40(2), pages 239-278, October.
    4. Francisco Venegas-Martinez, 2006. "Impacto de una Politica Fiscal incierta y del riesgo cambiario en estrategias de estabilizacion de precios," EconoQuantum, Revista de Economia y Negocios, Universidad de Guadalajara, Centro Universitario de Ciencias Economico Administrativas, Departamento de Metodos Cuantitativos y Maestria en Economia., vol. 2(2), pages 3-33, Enero-Jun.
    5. Ilker Domaç & Eray M. Yücel, 2005. "What Triggers Inflation in Emerging Market Economies?," Review of World Economics (Weltwirtschaftliches Archiv), Springer;Institut für Weltwirtschaft (Kiel Institute for the World Economy), vol. 141(1), pages 141-164, April.
    6. Anne O. Krueger, 2019. "Increased capital mobility and policy reform in developing countries," Indian Economic Review, Springer, vol. 54(1), pages 113-133, December.
    7. Enrica Detragiache & A. Javier Hamann, 1999. "Exchange Rate‐Based Stabilization In Western Europe: Greece, Ireland, Italy, And Portugal," Contemporary Economic Policy, Western Economic Association International, vol. 17(3), pages 358-369, July.
    8. Castro, Vitor & Veiga, Francisco Jose, 2004. "Political business cycles and inflation stabilization," Economics Letters, Elsevier, vol. 83(1), pages 1-6, April.
    9. Aytac, Ozlem, 2015. "A model of a heterodox exchange rate based stabilization," Economic Modelling, Elsevier, vol. 46(C), pages 100-117.
    10. Ariane Tichit, 1998. "Reprise économique dans les pays post-communistes : application d'un modèle de durée," Économie et Prévision, Programme National Persée, vol. 136(5), pages 73-92.
    11. Corsetti, Giancarlo & Pesenti, Paolo & Roubini, Nouriel, 1999. "What caused the Asian currency and financial crisis?," Japan and the World Economy, Elsevier, vol. 11(3), pages 305-373, October.
    12. David M. Gould, 1996. "Does the choice of nominal anchor matter?," Working Papers 9611, Federal Reserve Bank of Dallas.
    13. Péter Benczúr, 2003. "Real Effects of Nominal shocks: a 2-sector Dynamic Model with Slow Capital Adjustment and Money-in-the-utility," MNB Working Papers 2003/9, Magyar Nemzeti Bank (Central Bank of Hungary).
    14. Rudolfs Bems, 2008. "Aggregate Investment Expenditures on Tradable and Nontradable Goods," Review of Economic Dynamics, Elsevier for the Society for Economic Dynamics, vol. 11(4), pages 852-883, October.
    15. Juan Pablo Medina & Ruy Lama, 2004. "Simple Monetary Policy Rules for Developing Countries," Econometric Society 2004 Latin American Meetings 248, Econometric Society.
    16. Venegas-Martinez, Francisco, 2006. "Stochastic temporary stabilization: Undiversifiable devaluation and income risks," Economic Modelling, Elsevier, vol. 23(1), pages 157-173, January.
    17. Stephanie Schmitt-Grohe & Martin Uribe, 2001. "Stabilization policy and the costs of dollarization," Proceedings, Federal Reserve Bank of Cleveland, pages 482-517.
    18. George Alessandria & Oscar Avila, 2023. "Trade Integration, Industry Reallocation, and Welfare in Colombia," IMF Economic Review, Palgrave Macmillan;International Monetary Fund, vol. 71(3), pages 649-687, September.
    19. Matovnikov Mikhail, 2003. "The ups and downs of banking system in transition," EERC Working Paper Series 99-244e, EERC Research Network, Russia and CIS.
    20. Vittorio Corbo, 2002. "Monetary Policy in Latin America in the 90s," Central Banking, Analysis, and Economic Policies Book Series, in: Norman Loayza & Klaus Schmidt-Hebbel & Norman Loayza (Series Editor) & Klaus Schmidt-Hebbel (Series (ed.),Monetary Policy: Rules and Transmission Mechanisms, edition 1, volume 4, chapter 6, pages 117-166, Central Bank of Chile.

    More about this item

    Statistics

    Access and download statistics

    Corrections

    All material on this site has been provided by the respective publishers and authors. You can help correct errors and omissions. When requesting a correction, please mention this item's handle: RePEc:zbw:ifwkie:873. See general information about how to correct material in RePEc.

    If you have authored this item and are not yet registered with RePEc, we encourage you to do it here. This allows to link your profile to this item. It also allows you to accept potential citations to this item that we are uncertain about.

    If CitEc recognized a bibliographic reference but did not link an item in RePEc to it, you can help with this form .

    If you know of missing items citing this one, you can help us creating those links by adding the relevant references in the same way as above, for each refering item. If you are a registered author of this item, you may also want to check the "citations" tab in your RePEc Author Service profile, as there may be some citations waiting for confirmation.

    For technical questions regarding this item, or to correct its authors, title, abstract, bibliographic or download information, contact: ZBW - Leibniz Information Centre for Economics (email available below). General contact details of provider: https://edirc.repec.org/data/iwkiede.html .

    Please note that corrections may take a couple of weeks to filter through the various RePEc services.

    IDEAS is a RePEc service. RePEc uses bibliographic data supplied by the respective publishers.