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Zusammenfassung „Ich glaube, ich habe gerade die Liberaldemokratische Partei getötet“, gestand William Hague seiner Ehefrau Ffion am 20. Mai 2010 (Cutts und Russell 2015). Einige Stunden zuvor hatte Hague an der Seite von David Cameron, dem Vorsitzenden der Konservativen, einen Koalitionsvertrag mit den Liberaldemokraten geschlossen, der die Politik für die gemeinsame Regierung festschrieb. Wie richtig Hague, der in der neuen Regierung unter Führung Camerons Außenminister werden sollte, mit seiner Prognose lag, ahnten an jenem Tag nur wenige. Bekannt war allenfalls, dass der ehemalige Tory-Chef Hague gemeinsam mit Cameron in den vorangegangenen Verhandlungen dem viel kleineren Partner Zugeständnisse abgerungen hatte, die ausdrücklich Wahlversprechen zuwiderliefen, denen die Lib Dems ihr gutes Ergebnis von 22 Prozent der Stimmen bei den Wahlen am 6. Mai 2010 verdankten. Im Wahlkampf zuvor hatte ihr junger, charismatischer und polyglotter Vorsitzender Nick Clegg in den TV-Duellen brilliert gegen den müde und fade wirkenden Amtsinhaber Gordon Brown von der Labour-Partei und David Cameron, dem das herzlose Image arroganter Tories ebenso Sympathien kostete wie seine Zugehörigkeit zur privilegierten gesellschaftlichen Elite. Bis zu 80 Prozent der Zuschauer hielten Clegg zeitweilig für die bessere Besetzung im Amt des Premierministers. Seit den Tagen Winston Churchills hatte kein Politiker mehr derart große populäre Unterstützung erfahren (Oliver und Smith 2010). Von Cleggmania war schon die Rede. Wie so oft bei den Liberaldemokraten übertrafen die Hoffnungen das Ergebnis am Wahlabend. Eine Gelegenheit zur Beteiligung an der Regierung erhielt Clegg dennoch, als nach Auszählung der Stimmen den Konservativen die Mehrheit im Unterhaus fehlte und sie den Liberaldemokraten eine Koalition anboten. Es war ein vergiftetes Angebot, für das die Partei viele progressive Ideen aufgeben musste, um die ihre Kandidaten seit Jahren gekämpft hatten (Fieldhouse und Russell 2005). Cleggs Partei hatte sich seit langem einen Namen gemacht mit ihren Forderungen nach sozialliberalen Reformen, ein faires Wahlrecht, Erneuerung der Verfassung und politische sowie administrative Dezentralisierung des Staates. Kaum etwas davon ließ sich mit den Tories durchsetzen. Clegg ignorierte die warnenden Stimmen, die Partei würde an der Seite der Konservativen ihre traditionelle Rolle verraten als Repräsentantin linksliberaler und progressiver Gruppen, Kritikerin des Establishments und Sprecherin der EU-Freunde im Land. Das irritierte viele Labour-Wähler, die aus taktischen Gründen den Liberaldemokraten ihre Stimme in solchen Wahlkreisen gaben, wo sie die besseren Chancen hatte, sich gegen die Konservativen durchzusetzen (Patti und Johnston 2011). Für ein Stück der Macht opferte Clegg die Reformagenda seiner Partei und nicht einmal mit den Forderungen nach einem Verhältniswahlrecht, das gerade kleinen Parteien gerechte Chancen bei Wahlen einräumen sollte, konnte er sich in den folgenden Jahren gegen die Tories durchsetzen. Als die Liberalen Minister Pläne für ein neues Wahlrecht in einem Referendum zur Abstimmung stellten, empfahlen die Konservativen im Kabinett ihren Anhängern die Ablehnung und vereitelten so das Projekt (Laycock et al. 2013). Ein Sturm der Empörung brach los, als die Liberaldemokraten dem Druck der Konservativen nachgaben und im Parlament Fördergeld für Bedürftige kürzten und die Studiengebühren auf mehr als 9000 Pfund im Jahr verdreifachten. Die Studenten, die bisher als Unterstützer der Lib Dems galten, fühlten sich verraten von Abgeordneten, die vor der Wahl in einer persönlichen Erklärung versprochen hatten, gegen zusätzliche Gebühren zu votieren (Butler 2019). Innerhalb ihres ersten Monats in der Regierung verlor Cleggs Partei bereits acht Prozent Zustimmung, fünf Monate später hatte sie die Hälfte ihrer Wähler eingebüßt (Cutts und Russell 2015). Mit dem Votum ihrer Abgeordneten für restriktivere Migrationspolitik, auch das eine Forderung der Konservativen, verspielten die Lib Dems zudem viel Sympathie unter ihren muslimischen Wählern, die sich zehn Jahre zuvor von der Labour-Partei abgewandt hatten nach Premierminister Tony Blairs Entscheidung, gleich zweimal britische Soldaten zum Kampf in muslimische Länder zu entsenden (Curtice 2007). Nun aber zweifelten viele Muslime an der Haltung der Lib Dems, deren Abgeordnete auf Wunsch der Tory-Innenministerin Theresa May für ein neues Anti-Terror-Gesetz stimmten, das nicht nur von Extremisten, sondern auch von vielen unbescholtenen Muslimen als Bedrohung empfunden wurde (Martin 2017).
Suggested Citation
Christian Schnee, 2022.
"Die Liberaldemokraten – Hoffen auf bessere Zeiten,"
Springer Books, in: Das Vereinigte Königreich, chapter 17, pages 345-358,
Springer.
Handle:
RePEc:spr:sprchp:978-3-658-37388-7_17
DOI: 10.1007/978-3-658-37388-7_17
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