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BoJo – König der Welt und Chamäleon

In: Das Vereinigte Königreich

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  • Christian Schnee

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Zusammenfassung „Boris Johnson geht es nur um Ruhm und Spaß. Er ist völlig ungeeignet für das Amt des Regierungschefs“ (Hastings 2019). Die Warnung hätte nicht deutlicher ausfallen können und sie kommt nicht von irgendwem, sondern von Max Hastings, einem eminenten Historiker und Journalisten. Der gab 1989 als Chefredakteur der konservativen Tageszeitung Daily Telegraph dem 24jährigen Reporter Johnson eine zweite Chance als Korrespondent in Brüssel, nachdem der von seinem ersten Arbeitgeber, dem Qualitätsblatt The Times, dafür entlassen worden war, ein Zitat des Historikers Colin Lucas frei erfunden zu haben. Brüssel gilt unter britischen Journalisten als wichtiger, aber langweiliger Standort. Nach Langeweile stand Johnson allerdings nicht der Sinn und so beschloss er, mit seinen Beiträgen die Leser des Telegraf zu unterhalten. Das typische Publikum des Blattes sind Wähler der Konservativen, vor allem ältere Jahrgänge mit Nostalgie fürs Empire und tiefer Skepsis gegenüber den europäischen Nachbarn, die es dem Autor Johnson nicht übelnahmen, wenn der mal wieder mit der Wahrheit sparsam und den Fakten kreativ umging, solange die Pointen stimmten und Franzosen, Deutsche und Eurokraten schlecht aussehen ließen (Gimson 2012). Korruption und Intrigen in den Korridoren der europäischen Institutionen waren ebenso Johnsons Herzensthemen wie Komplottversuche der Deutschen gegen die britischen Kommissare und natürlich brachte er zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Verweise auf den Zweiten Weltkrieg in seinen Beiträgen unter. Dabei ging es unter anderem um angebliche Bemühungen von Kommissionspräsident Jacques Delors, Europa zu beherrschen, und dunkle Absichten auf dem Kontinent, britische Marmelade zu verbieten (Boulton 2020). Viele Gegner der europäischen Institutionen empfanden besondere Genugtuung bei der Lektüre seines erfundenen Berichts, wonach der Sitz der Europäischen Kommission, das Berlaymont-Gebäude an der Brüsseler Rue de la Loi, gesprengt werden sollte (Fletcher 2017). Rolf-Dieter Krause, seinerzeit Korrespondent für die ARD in Brüssel, erzählt, wie er sich bei der Durchsicht der Beiträge aus der Feder des britischen Kollegen oft gefragt habe, ob Johnson und er wirklich auf der gleichen Pressekonferenz gewesen seien (Rankin und Waterson 2019). Vermutlich nicht, denn der Brite war bekannt dafür, während mehrtätiger Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft von der Bildfläche zu verschwinden, um dann gegen Ende des Treffens zerzaust und gehetzt nur Minuten vor dem Abgabetermin seines Artikels wieder zu erscheinen. Charmant und in humorvollem Franglais gab der junge Johnson dann häusliche Notstände vor („Schrecklicher Tag, alter Junge, die machine a laver ist überlaufen, totale innondation, Ich musste auf les plombiers warten“), um an kollegiale Solidarität zu appellieren und eine kursorische Zusammenfassung der verpassten politischen Stellungnahmen und Pressetermine zu erhalten (Boulton 2020). Was fehlte, füllte Johnson mit Fantasie und Sinn für die Vorlieben seines ständig wachsenden euroskeptischen Publikums auf der Insel. Von jener Zeit sagt Johnson ohne allzu schlechtes Gewissen: „Alle meine Berichte aus Brüssel waren wie Steine, die ich über den Gartenzaun warf, und dann auf das fantastische Klirren des Glashauses nebenan in England wartete, wo die Geschichten einen explosiven Effekt hatten“ (Boulton 2020). John Major, seinerzeit Vorsitzender der Konservativen und als Premierminister um ein auskömmliches Verhältnis mit der Europäischen Gemeinschaft bemüht, sah die antieuropäische Stimmung im Land und in den Reihen der eigenen Partei aufgeheizt durch Johnsons reißerische Berichterstattung, die Chris Patten, Großbritanniens Mitglied in der Kommission als Paradebeispiel für Fake News, also erfundene Nachrichten, brandmarkte (Sparrow 2016). Hastings, Johnsons ehemaliger Förderer beim Telegraf, erzählt bis heute mit viel Anerkennung und Sympathie von Johnsons brillantem Schreibstil, macht aber auch kein Geheimnis daraus, dass sein einstiger Protegé auf dem Karriereweg im Journalismus und später in der Politik nicht nur mit viel Ehrgeiz, sondern auch frei von Skrupeln und rücksichtslos vorgegangen sei (Hastings 2019). Dass er auf diesem Weg ganz nach oben kommen wollte, das hatte Boris schon in Kindertagen angekündigt, als er seiner Mutter erzählte, er wolle „König der Welt“ werden (Edwards und Isaby 2008). Seinen brennenden Ehrgeiz verdeckte Johnson für viele Jahre hinter zerzauster Frisur, verknitterten Anzügen sowie Sinn für Witz und rhetorischer Originalität, mit denen er das Publikum über seine eigentlichen Absichten in die Irre führte. Gefragt nach seinen Chancen, eines Tages Regierungschef zu werden, raunte er, „die Wahrscheinlichkeit ist vergleichbar mit meiner Chance, von einer Frisbee-Scheibe enthauptet zu werden.“ Einem anderen Reporter entgegnete er auf die gleiche Frage mit einem verschmitzten Lächeln und den Zeilen: „Eher findet man Elvis auf dem Mars, als dass ich Premierminister werde“ (Hjelmgaard 2014).

Suggested Citation

  • Christian Schnee, 2022. "BoJo – König der Welt und Chamäleon," Springer Books, in: Das Vereinigte Königreich, chapter 13, pages 265-291, Springer.
  • Handle: RePEc:spr:sprchp:978-3-658-37388-7_13
    DOI: 10.1007/978-3-658-37388-7_13
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