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„Das Herz und Mark eines Königs“ – Zuständig für Schwäne, Wale und Störe

In: Das Vereinigte Königreich

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  • Christian Schnee

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Zusammenfassung Faruq, der ehemalige König von Ägypten, sagte einmal voraus, dass es zum Ende des 20. Jahrhunderts nur noch fünf Monarchien geben werde auf der Welt. Darunter sei ein Prinz der Herzen, ein Diamanten- und ein Immobilienkönig, ein King der Nachtclubs und die Queen in England (Paxman 2007). Faruq, der in seiner Jugend in England lebte und sich dort erfolglos um einen Platz an der Militärakademie von Woolwich und an der Privatschule Eton College bemühte, lag mit seiner Prognose nicht ganz falsch. Die Monarchie in Großbritannien hat – anders als ihre Pendants in Österreich, Deutschland, Russland, Italien oder Griechenland – vor allem deshalb überlebt, weil sie populär war und auch in Zeiten der Krise die Mehrheit der Menschen hinter sich hatte. Thomas Paine, der britische Philosoph und Revolutionär, der sich im Ringen um die amerikanische Unabhängigkeit einen Namen machte, schrieb, dass Könige zunächst aus den Herzen ihrer Untertanen verstoßen würden und erst danach per Parlamentsbeschluss von ihrem Thron (Foot und Kramnick 1987, S. 387). Dieser Platz im Herzen der Briten war im Laufe des 20. Jahrhunderts zweimal in Gefahr. Zunächst während des Ersten Weltkriegs gegen Deutschland, als in der Bevölkerung und der Regierung mit Skepsis und Kritik auf den deutschen Namen der Dynastie verwiesen wurde: Hannover-Sachsen-Coburg und Gotha. Sarkastisch fragte seinerzeit David Lloyd George, der Schatzkanzler, auf dem Weg zu einem Termin im Buckingham Palace: „Ich frage mich, was unser kleiner deutscher Freund mir zu sagen hat?“ (Paxman 2017, S. 185). Die abfällige Bemerkung bezog sich auf George V., den Enkel Königin Victorias aus dem Hause Hannover und des Prinzgemahls Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Der Schriftsteller H. G. Wells stichelte zur gleichen Zeit, der Hof sei nicht nur „wenig inspirierend“, sondern – schlimmer noch! – „ausländisch.“ „Wenig inspirierend mag ich ja sein“, gestand der König zu, „aber, verdammt noch mal, ein Ausländer bin ich nicht!“ (Nicolson 1952, S. 308). Getrieben von dieser feindseligen Stimmung im Land ließ George V. zunächst die Wappen seiner deutschen Verwandten in der Kapelle des Heiligen Georg in Windsor Castle abhängen. Schließlich tauschte er auch den Familiennamen aus. Von nun an würde seine Familie nach der 1000 Jahre alten Festung im Westen Londons Windsor heißen. 80 Jahre später war die Stimmung ähnlich feindselig. Man schrieb den August 1997. Gerade war Diana, die geschiedene Ehefrau des Prinzen von Wales, bei einem tragischen Unfall in Paris ums Leben gekommen. Das Land war im Schock, der Premierminister sprach im Fernsehen von „der Prinzessin des Volkes“, vor dem Kensington Palast, in dem Diana ein Apartment bewohnte, türmten sich mehr als eine Million Blumenbouquets bis zu eineinhalb Meter in die Höhe. Derweil machten Elizabeth II. und ihr Ehemann Philip keine Anstalten, ihren Sommerurlaub in Schottland zu unterbrechen, um sich in London den Trauernden anzuschließen. Viele Menschen waren empört und unterstellten, den Royals fehle es an Mitgefühl, menschlichen Regungen und Verständnis für die Empfindungen ihres Volkes. Der Eindruck verstärkte sich, als Elizabeth II. anwies, dem Protokoll zu folgen, wonach die königliche Standarte nie auf Halbmast gesetzt wird – auch nicht für den Tod eines Familienmitglieds. Die öffentliche Reaktion war geprägt von Ungläubigkeit und Wut (CNN 1997). Sean O’Grady schrieb in der Zeitung Independent von der „schlimmsten Woche für die Monarchie seit Menschengedenken“ (O’Grady 2017). Dass die Monarchie seither wieder an Popularität gewinnen konnte, ist nicht zuletzt dem Respekt und der Anerkennung geschuldet, die viele Briten Elizabeth II. entgegenbringen für ihre persönliche Disziplin, menschliche Bescheidenheit und professionelle Pflichterfüllung. Auch im siebten Jahrzehnt seit ihrer Krönung in der Abtei von Westminster im Jahr 1953 will sie nichts von Ruhestand wissen und nahm allein 2018, im Jahr ihres 92. Geburtstages, rund 300 öffentliche Termine wahr (Treble 2018). Die meisten Bürger können sich an kein anderes Staatsoberhaupt erinnern. Einige erzählen, die Königin erscheine ihnen sogar im Traum, manchmal beim Wandern in Gummistiefeln, nicht selten mit Einkaufskorb, ganz so wie die freundliche Nachbarin, aber immer mit Krone (Masters 1973, S. 21). Es scheint, als behalte der Dramatiker und Satiriker George Bernhard Shaw recht, für den Könige nicht geboren werden, sondern „das Ergebnis sind von künstlicher Halluzination“ (Shaw 1903). Real ist nicht einmal die Prämisse, auf der sich die königliche Autorität gründet. Das Gottesgnadentum oder Dei Gratia auf Latein, das aus einem einfachen Menschen einen Monarchen macht, auserwählt von einer himmlischen Macht, ist bestenfalls eine kollektive Halluzination. Das Akronym D. G. findet sich bis heute als Gravierung auf jeder Pfund-Münze. Er solle Gott preisen aus zwei Gründen, mahnte König James I. Stuart im frühen 17. Jahrhundert seinen Sohn und Nachfolger auf dem Thron: „Einmal, weil er dich zu dem Mann gemacht hat, der du bist. Und außerdem, weil er dich als kleinen Gott erschaffen hat, um auf seinem Thron zu sitzen und über andere Menschen zu regieren“ (Stuart 1918, S. 12). Auch im 20. Jahrhundert hatte die Idee, der König stehe in besonders engem Verhältnis zu Gott, seine Suggestivkraft nicht verloren. Für Winston Churchill traf daher die Schuld für den Ersten Weltkrieg nicht etwa den Deutschen Kaiser Wilhelm II., der – so Churchill – schließlich erzogen worden sei in der Überzeugung, eine göttliche Mission zu befolgen (Churchill 1990, S. 17). Selbst 1964 war ein Drittel der Bevölkerung noch davon überzeugt, die Königin sei von Gott für ihre Aufgabe auserwählt (Piers 1986, S. 197). Auch das Regierungssystem trägt dem besonderen Verhältnis Rechnung mit der Formulierung „die Krone im Parlament unter Gott“, die das Zusammenspiel und die Hierarchie zwischen Abgeordneten, Monarchen und im Allmächtigen im Gesetzgebungsverfahren beschreibt (Onwordi 2011). Diese Symbiose zwischen weltlichem Status und geistlicher Legitimation drückt sich aus bei der Krönung, wenn der oberste christliche Würdenträger des Landes, der Erzbischof von Canterbury, den neuen Monarchen mit geweihtem Wasser salbt. Eine mystische Handlung, die dem Publikum bei der ersten und bisher einzigen vom Fernsehen übertragenen Krönung 1953 vorenthalten wurde. Das enge Verhältnis zwischen Kirche, Religion und der Monarchie reicht lange zurück. Schon 1521 ernannte Papst Leo X. König Henry VIII. zum „Verteidiger des Glaubens“, eine Aufgabe und Ehre, die bis heute auf den Münzen neben dem Bild der Königin in dem Akronym D. F. oder Defensor Fidei ihren Ausdruck findet. Zur Wahrheit im Verhältnis religiöser und weltlicher Dinge gehört allerdings auch, dass die Briten den Willen Gottes und die Rolle der Kirche in der politischen Arena gewöhnlich äußerst pragmatisch auslegen. Und Dankbarkeit spielt unter Machtpolitikern ohnehin keine Rolle, wie Henry VIII. demonstrierte, als 1534 die Kirche in seinem Reich von Rom los, weil sein Antrag auf Annullierung der Ehe mit Katharina von Aragon beim Papst auf taube Ohren gestoßen war. Nun übernahm er selbst als weltlicher Herrscher, sozusagen in Nebenaufgabe die Leitung der Kirche. In dieser Tradition versieht bis heute Elizabeth II. ihre Aufgabe als Vorsteherin der Church of England und jeder Bischof hat formal ihr seine Berufung zu verdanken (Shipman 2021).

Suggested Citation

  • Christian Schnee, 2022. "„Das Herz und Mark eines Königs“ – Zuständig für Schwäne, Wale und Störe," Springer Books, in: Das Vereinigte Königreich, chapter 10, pages 195-209, Springer.
  • Handle: RePEc:spr:sprchp:978-3-658-37388-7_10
    DOI: 10.1007/978-3-658-37388-7_10
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