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Non, merci beaucoup – Immer Ärger mit Europa

In: Das Vereinigte Königreich

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  • Christian Schnee

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Zusammenfassung Für Denis Healey, immerhin Schatzkanzler in den 1970er-Jahren und später stellvertretender Vorsitzender der Labour-Partei, war die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – wie die EU seinerzeit hieß – eine Konspiration, hinter der die Katholiken auf dem Kontinent steckten. Sein Parteifreund, Premierminister James Callaghan, sah den europäischen Staatenbund als Gefahr für die Identität seines Landes, weil er Großbritannien zwinge, seine politischen und wirtschaftlichen Verbindungen zum Commonwealth und Amerika einzutauschen für etwas, was er „kontinentale Klaustrophobie“ nannte (Grob-Fitzgibbon 2016, S. 359). Auf dem Kontinent „sprechen die Menschen fremde Sprachen, besonders die Franzosen – die sprechen französisch“, raunte er besorgt und fügte warnend hinzu: Das bedrohe „die Sprache von Chaucer, Milton und Shakespeare. Wenn wir unsere europäische Gesinnung dadurch beweisen müssen, dass wir das Französische als dominante Sprache in der Gemeinschaft akzeptieren, dann ist meine Antwort klar und ich gebe sie auf Französisch, um Missverständnisse zu vermeiden. Non, merci beaucoup!“, ließ der Regierungschef seine erstaunten Kollegen in den europäischen Hauptstädten wissen (MacShane 2016, S. 51). Und Callaghan war nicht allein mit seinen Vorbehalten gegenüber dem Kontinent und der Ablehnung britischer Mitgliedschaft in einem europäischen Staatenbund. Für die Monarchen, Politiker, Künstler und Historiker, die vom 16. bis ins 20. Jahrhundert die britische Nation geschaffen und geprägt haben, war Teilung oder gar Aufgabe der nationalen Souveränität – wie es die EU von ihren Mitgliedern verlangt – undenkbar. Ihr Traum war es, einen unabhängigen, stolzen und freien Nationalstaat entstehen zu lassen. Eine Vision, die in Teilen Westeuropas im 21. Jahrhundert als überholt und deplatziert erscheint. Wer aber noch weiter zurückblickt in der Geschichte des Landes, dem begegnen Persönlichkeiten, die eine andere Sicht auf Nation, Grenzen und Englands Verhältnis mit Kontinentaleuropa hatten. Als am 19. Dezember 1154 Heinrich Plantagenet an der Seite seiner Frau Eleonore in der Abtei von Westminster gekrönt wurde, hatte England einen multikulturellen, polyglotten, in jeder Hinsicht europäischen Herrscher, dem enger englischer Nationalismus völlig fremd war. Schließlich verstand Englands neuer König Heinrich II. kaum die Sprache seines Landes und verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich. Der frankophone Herrscher verständigte sich zudem problemlos auf Latein, verstand aber auch provenzalisch und italienisch. Heinrichs Mutter Mathilde war in erster Ehe mit dem römisch-deutschen Kaiser Heinrich V. verheiratet. Englands neuer König hielt zudem die Titel eines Grafen von Anjou und Nantes, war zudem Herzog der Normandie und regierte über Aquitanien, dem Besitz seiner Ehefrau Eleonore, die aus Poitou stammte (Warren 1973). Auch bei Wilhelm dem Eroberer, der ein Jahrhundert zuvor mit dem Sieg bei Hastings die englische Krone erlangte, ist kein Verständnis für die nationalstaatlichen Empfindlichkeiten seiner Nachfahren zu vermuten. Selbst Englands erster Monarch, Alfred der Große, der immerhin im Jahr 2002 in einer landesweiten BBC-Abstimmung auf Platz 14 der 100 größten Briten gewählt wurde, kannte nur eine Insel, auf der die Grenzen verwischten zwischen keltischen Bewohnern im Westen und Norden, christlich-germanischen Angelsachsen, romanisierten Briten und heidnischen Wikingern aus Skandinavien. Der Gedanke, England sei kulturell getrennt vom Kontinent und könne sich Europa politisch und wirtschaftlich entziehen, muss jenem Alfred, aber auch Wilhelm und Heinrich gleichermaßen unrealistisch, wenn nicht absurd erschienen sein. Regionale Grenzen gab es wohl, doch waren die flexibel und verrutschten, wenn Herrscher Allianzen schmiedeten, Territorien erbten, in andere Dynastien einheirateten oder Schlachten gewannen oder verloren. Kulturkreise und Sprachräume transzendierten politische Abgrenzungen und England war durch Geschichte und Erfahrung eng mit seinen Nachbarn auf dem Kontinent verbunden. So war Londinium, das heutige London, für fast 400 Jahre die lokale Verwaltungsstelle eines multikulturellen Imperiums, seit im Jahr 43 der Senator und Feldherr Aulus Plautius seine Legionäre am Strand der heutigen Grafschaft Kent an Land setzte. Fortan waren in England wie anderswo im römischen Reich Religionen, Gebräuche und Moden aus Asien, Afrika und Europa zu Hause: Amphitheater, Bibliotheken, Villen, Stadthäuser aus Stein, Bäder, Wagenrennen und die viel gerühmte Kanalisation hatte Britannien mit so vielen anderen Provinzen Roms gemein. Und auch nach Abzug der Legionen und dem Ende der weströmischen Herrschaft im Jahr 410 hielten die romanisierten Briten an ihren europäischen Sitten fest (De la Bédoyère 2013).

Suggested Citation

  • Christian Schnee, 2022. "Non, merci beaucoup – Immer Ärger mit Europa," Springer Books, in: Das Vereinigte Königreich, chapter 1, pages 1-24, Springer.
  • Handle: RePEc:spr:sprchp:978-3-658-37388-7_1
    DOI: 10.1007/978-3-658-37388-7_1
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