Author
Abstract
Die systemtheoretische Betrachtung eines Netzwerk-Phänomens kann bei einem Bullen und zwei Kühen anfangen. Für diese Arbeit hat das zwei Vorteile: Zum einen meiden wir dadurch größtenteils das Feld der babylonisierten Netzwerkdebatte (Faßler 2001: 22), und können im Ergebnis dennoch durch qualifizierte Impulsen an diese Debatte anschließen. Zum zweiten ergibt sich so die ausgezeichnete Gelegenheit, auch den Missionar Samuel Marsden zu würdigen, der die drei Rinder im Jahre 1814 nach Neuseeland brachte. Denn im Ergebnis dieses folgeschweren Imports produziert das Land bald einen Überschuss an Milch-Produkten, den es 1846 erstmals exportieren kann: eine Ladung Käse wird nach Australien verschifft. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts umschiffen die ersten Kühltransporte schließlich das Haltbarkeitsdatum, wodurch der Anschluss an den Weltmarkt erfolgt. Heute begrasen drei Millionen unsubventionierte Rinder die subtropische Nordinsel Neuseelands. Hier werden 36% aller weltweit gehandelten Molkerei-Produkte hergestellt, und damit 20% der Deviseneinnahmen des Landes erwirtschaftet (Donoso 2002). Kontrolliert wird der gesamte Prozess von der Fonterra Co-operative Group Ltd., Neuseelands größtem Unternehmen, für das ca. 95% der neuseeländischen Milch-Farmer arbeiten, weil es ihnen gehört. Die Genossenschaft übernimmt die Milch, deren Weiterverarbeitung zu preiswerten Markenprodukten und deren Platzierung am Markt. Dafür verfügt das Unternehmen über ein dichtes globales Netz von Produktionsstätten, Niederlassungen und Beteiligungen. Fonterra verkauft in 140 Länder, beschäftigt dafür 20.000 Mitarbeiter, machte NZ $ 12 Milliarden Gewinn (Donoso 2002) und gilt damit als größter Exporteur sowie viertgrößter Produzent im globalen Marktsegment. Größere Schlagzeilen brachte dem Unternehmen zuletzt eine strategische Allianz mit Nestlé ein. Inzwischen strebt es offen die globale Marktführerschaft an. Man kann Fonterra nun mit Blick auf die Organisation der 13.000 Milch-Farmer als ein genossenschaftliches Netzwerk (Theurl 2004) einführen. Mit Blick auf die Funktion der 20.000 weiteren Mitarbeitern ist die Kooperative aber genauso gut ein hierarchisches Unternehmen oder schließlich in der Zusammenschau eine hybride Mischform (Sydow/Well 1996; Mayntz 1993). Wir stellen die Organisation schlicht als aber schlicht als das vor, was sie dem eigenen Vernehmen nach ist: eine Kooperative mit einer erstaunlichen Weltmarkt-Performance, und das ausgerechnet in einem der meist umkämpften Marktsegmente (Wilson 2002), in dem andere Kooperativen systematisch an die Grenzen ihrer strukturellen Anpassungsfähigkeit stoßen (Harte 1997, Wilson 1999). Um dieses Phänomen multidimensional untersuchen zu können, betrachten wir das Konzept der Kooperative als Form der strukturellen Kopplung sozialer Systeme, die wir am Beispiel Fonterra genauer untersuchen. Kernanliegen des Aufsatzes bleibt es, Systemtheorie und Netzwerk-Begriff systematisch aufeinander zu beziehen. Konkret geschieht das aber, wie angedeutet, indem die systematische Suche nach einem umfassenden Netzwerk-Begriff in weiten Strecken ausgeblendet wird. Diese Verlagerung bedeutet zunächst eine sichtbare Zumutung an den Leser (vgl. Abb. 1), führt aber zu Ergebnissen; ganz direkt etwa zu einer nachvollziehbaren Gliederung: Im Grunde besprechen wir einen Ausschnitt Gesellschaft, dem wir uns immer wieder in Ausschnitten oder unter spezifischen Fragestellungen nähern: Grundlage dafür sind systematische Überlegungen zum Begriff der strukturellen Kopplung (2), durch die wir Sequenzen einer Evolutionsgeschichte des Konzepts der Kooperative als strukturelle Kopplung zwischen Politik und Wirtschaft vorbereiten. Im Anschluss daran interessieren uns aktuelle Erscheinungsformen des Konzepts der Kooperative; auf Grundlage einer Typologie kooperativer Organisationsformen entwickeln wir ein vergleichsweise hoch auflösendes Bild des Konzepts der Kooperative als strukturelle Kopplung im Übergangsfeld zum Wirtschaftssystem (3). Nun können wir die aktuelle Organisationsform der Kooperative Fonterra und deren Funktion als produzenten-optimale Form der strukturellen Kopplung zwischen Produzent und Absatzmarkt bestimmen (4); daran anschließend können wir Form und Funktion der neuseeländischen Molkerei‑Industrie präzise von früheren unterscheiden (5). Dabei skizzieren wir folgende Entwicklung: Angesichts der Liberalisierung des Weltagrarmarktes stoßen immer mehr Kooperativen an die Grenzen ihrer strukturellen Anpassungsfähigkeit. Während die einen in dieser Situation scheitern, agieren erfolgreiche Kooperativen neuerdings zunehmend, und zunehmend global, wie konventionelle Unternehmen. Setzt sich diese Tendenz fort, so lässt sich zeigen, ist mit dem Konzept der Kooperative bald eine spezifische Produktionsweise und damit eine spezifische Form der strukturellen Kopplung zwischen politischem und Wirtschaftssystem zerbrochen. Schließlich zeigen wir am Beispiel: Netzwerke sind Systeme, die wir als strukturelle Kopplungen betrachten. Und dass ein systemtheoretischer Zugang zum Netzwerkbegriff zu einer umfassenden Perspektive führt, die formale, funktionale, elementare, geografische und historische Unterscheidungen gleichermaßen integriert (6).
Suggested Citation
Download full text from publisher
Corrections
All material on this site has been provided by the respective publishers and authors. You can help correct errors and omissions. When requesting a correction, please mention this item's handle: RePEc:zbw:espost:104602. See general information about how to correct material in RePEc.
If you have authored this item and are not yet registered with RePEc, we encourage you to do it here. This allows to link your profile to this item. It also allows you to accept potential citations to this item that we are uncertain about.
We have no bibliographic references for this item. You can help adding them by using this form .
If you know of missing items citing this one, you can help us creating those links by adding the relevant references in the same way as above, for each refering item. If you are a registered author of this item, you may also want to check the "citations" tab in your RePEc Author Service profile, as there may be some citations waiting for confirmation.
For technical questions regarding this item, or to correct its authors, title, abstract, bibliographic or download information, contact: ZBW - Leibniz Information Centre for Economics (email available below). General contact details of provider: https://edirc.repec.org/data/zbwkide.html .
Please note that corrections may take a couple of weeks to filter through
the various RePEc services.